Samstag, 30. Januar 2016

Meine Begegnung mit... einem Überraschungsgast - Teil I

Eigentlich sollte hier mein Bemühen stehen, einen Cthulhu-7 Charakter zu bauen und zu sehen, inwieweit ich danach die Regeln verstanden habe. Also ein typischer Beitrag dieser unregelmäßigen Kolumne. Blöderweise bin ich zweimal beim CoC-7-Studium eingepennt. Passiert mir auch eher selten.

Also habe ich per W8 aus meinem Fundus aktueller Regelwerke einen Überraschungsgast als Ersatz gepickt. Heraus kam FATE, genaugenommen die aktuelle deutsche Kernregel-Fassung (müßte Edition 4, glaube ich).

Also FATE. Ausgerechnet.

Ich versuche immer in dieser Kolumne neugierig und offen heranzugehen. Natürlich habe ich Vorkenntnisse und Erfahrungen, die ich nicht ausblenden kann. Aber ich bin bereit mich überraschen oder enttäuschen zu lassen.

Finde Erleuchtung, Bruder

Bei FATE allerdings... Mein Problem mit diesem System ist mittlerweile in erster Linie die Haltung einiger seiner Proponenten. Die Regeln sind Deiner Meinung nach nicht konsistent - Du hast sie nicht verstanden. Einige Vorgehensweisen sind nicht nachvollziehbar - Es hat bei Dir noch nicht Klick gemacht. Die Beispiele sind alles andere als einsichtig - Finde Erleuchtung.

Mit anderen Worten: Wann immer Du Probleme mit dem System hast, es ist Deine Schuld. Das System ist perfekt. Sicher kann man den inneren Offenbarer einiger Nasen nicht gegen Fate verwenden, aber manchmal erweckt das schon den Eindruck einer gewissen Religiosität. Man lernt das nicht durch Regelstudium - man erfährt eine Art Epiphanie und tritt ein ins Rollenspiel-Nirvana. Das Regelbuch ist demnach mehr ein spiritueller Führer als eine Spielanleitung.

Na, denn auf

Schauen wir uns das Heilige PDF mal an. 300 kleinformatige Seiten, locker und gut lesbar mit Text gefüllt, blaue Schmuckfarbe angenehm zur Übersichtshilfe eingesetzt. Das PDF ist gut mit Buchzeigern versehen. Die Illus sind naja, aber da mecker ich nicht. Adäquat, ich sage mal adäquat. Alles in allem gut lesbar, auch am Bildschirm.



Das Cover betont das Generische des Systems. Das Kernregelwerk will auch weniger ein komplettes Spiel sein, als vielmehr ein Bau- und Werkzeugkasten zum Erschaffen eines vollständigen Spiels. Es sollte mir aber trotzdem möglich sein, einen spielfähigen Charakter da rauszuziehen.

Zunächst werden die Grundlagen von Rollenspiel selbst erklärt, da ist nichts Verhaltensauffälliges zu finden. Unsere Beispielgruppe, die uns hilfreich mit Erläuterungen zur Seite stehen soll, wird vorgestellt. Eine generische Fantasy-Truppe. Ich hätte was originelleres, "dramatischeres" erwartet. Aber okay.

Es folgt eine Übersicht des Charakterbogens, bei dem einige der Besonderheiten des Systems angerissen werden, aber nicht richtig erklärt, namentlich natürlich Aspekte, Stunts und Streß. Die mitgelieferten Beispiele dafür sind alles andere als erhellend an dieser Stelle, vielleicht weil sie wirklich sehr fade aus der mindestens ebenso faden Beispielgruppe entnommen sind. Was also sind Aspekte:
Aspekte können Dinge beschreiben, die von Vorteil oder von Nachteil sind – tatsächlich tun [sic] die allerbesten Aspekte beides. Nicht nur Charaktere haben Aspekte; die Umgebung, in der sich eure Charaktere bewegen, ist manchmal ebenfalls mit Aspekten ausgestattet.
Mmmh... Jaja, ich weiß. Hat noch nicht Klick gemacht. 'Tschuldigung.

Danach wird der Grundmechanismus erklärt. Du würfelst vier exzentrische Sechsseiter und verrechnest sie gegeneinander. Heraus kommt ein Ergebnis zwischen -4 und +4 zu dem Dein Eigenschaftswert verrechnet wird. Das Ergebnis bestimmt den Erfolgsgrad von "Fürchterlich" über "Ordentlich" bis "Legendär". Danach wird sehr kurz erklärt, wie man sich die verschiedenen Erfolgsgrade vorzustellen hat.

Soweit nichts Aufregendes, wenn ich mir auch einfachere Methoden zur Ermittlung von +4 bis -4 vorstellen kann, als das Verrechnen von vier exotischen W6.

Gummipunkte

Als nächstes wird dann das Konzept der FATE-Punkte erläutert, also der hauseigenen Gummipunkte. Glasperlen oder Pokerchips sind übrigens empfohlen. Ist es eigentlich einen Kickstarter wert, echte Gummipunkte für Fate, Savage Worlds et al zu produzieren? Aus Gummi und Punkten und so?

Egal.

Der erste Einsatz von FP ist es, Aspekte des Charakters zu nutzen. Mit anderen Worten - der Charakter muß seine Eigenschaft "Diebische Elster" mit einem FP aktivieren, um sie nutzen zu können. Hat er keine FP mehr, ist er auch keine "Diebische Elster". Um das im Buch gegebene Beispiel zu variieren:
"Du bist doch schon seit Jahren eine Diebische Elster und weißt, was üblicherweise in einer Schatzkammer ist und was nicht. Kannst Du den Kaufmann beeindrucken, indem Du über die seltensten, kostbarsten Teile seiner Sammlung sprichst?" - "Ne, leider nicht. Ich habe keine Fate-Punkte mehr."
Aha. Ich kann ein solches Vorgehen bei "Powers" verstehen ("Flammenschlag 3/Tag"). Bei grundlegenden, den Charakter definierenden Eigenschaften habe ich damit schon eher ein Problem. Das erfordert ziemliche Verrenkungen, um das innerhalb einer glaubhaften Geschichte - und um die "Geschichte" geht es FATE nach eigenem Bekunden - noch bruchlos einzufügen.

Das gerät auch einer Maxime der Figurengestaltung ins Gehege, der Notwendigkeit der maximalen Figurenkapazität.

Der zweite Einsatz von FATE-Punkten ist schon sehr viel nachvollziehbarer. Das Beispiel macht es auch deutlich. Die Helden sind darin in einer Situation mit NSC, deren Sprache sie nicht verstehen.
„Hey, ich habe den Aspekt 'Wenn ich noch nicht da war, hab ich davon gelesen' auf meinem Bogen stehen. Wäre es passend, wenn ich diese Sprache irgendwann studiert hätte, damit wir mit denen reden können?”
In einem anderen System wäre das vielleicht zufällig über einen Würfel entschieden worden, in kleinteiligeren Systemen hätte keine Chance bestanden, solange die Sprache nicht auf dem Charabogen steht. Diese Lösung hier ist auch okay und entspricht dem Prinzip des "begründeten Zufalls".

Das "Aspekte reizen" wird vom SL initiiert. Er nutzt einen der Aspekte eines Charakters, um mit Hilfe dessen negativer Auslegung eine Situation zu komplizieren. Der Spieler kann dies ablehnen und einen FP an den SL geben, oder er kann die Situation annehmen und einen FP kassieren. Auch das ist einsichtig und nicht ungewöhnlich.

Durch den FP-Mecha ist natürlich ein größerer Anreiz für den Spieler da, sich in die Bredouille bringen zu lassen. Je nach Spielertypus kann das hilfreich sein.

Leider ist hier nichts zu finden darüber, ob ein Spieler von sich aus eine solche Komplikation initiieren kann, um einen vielleicht bitter benötigten Fate-Punkt abzugreifen. Savage Worlds erlaubt das beispielsweise mit der proaktiven Verwendung der SC-Nachteile durch den Spieler. Da es im Text (noch) nicht explizit ausgeschlossen wird, würde ich das SL akzeptieren.

Ach ja. Wer immer diesen Text verfaßt hat - er benutzt wirklich gerne alle möglichen Erscheinungsformen von "Drama". Ich bin auf Seite 20 und habe das Zählen bereits aufgegeben.

Dem Neolithikum entkommen

Nach der Einführung kommt ein Kapitel zur Spielgestaltung. Das ist notwendig, da FATE von einer anderen SL-Gruppe-Dynamik ausgeht, als traditionelle Spiele. Bei FATE besteht der rechte Weg(TM) darin, daß sich alle zusammensetzen und die Spielwelt in groben Zügen im Teamwork erschaffen.

Dieser Aspekt des Spieles fällt bei vorgefertigten Spielen wie Dresden Files und Anglerre natürlich weg. Für einen Baukasten wie FATE Core ist der Schritt natürlich notwendig, sonst hat man kein Setting zum Spielen. Logisch. Auch die Tragweite der SC-Entwicklung (persönlich-"dramatisch" oder episch groß) soll hier abgestimmt werden.

Persönlich bin ich nicht übermäßig begeistert, ein Setting auf diese Art zu erstellen. Als Spieler werde ich gerne überrascht, und als Spielleiter überrasche ich gerne. Auch die Tragweitengeschichte weiß ich nicht zu begeistern. Sowas ergibt sich bei mir als SL im Laufe der Kampagne, und persönliches Drama ist meist eng mit dem episch Großen verstrickt. Insgesamt ist mir das zu formalisiert und stellt ein Korsett dar, daß kreative Impulse eher erstickt, anstatt sie zu fördern.

Auch auf die SC wird in diesem Abschnitt eingegangen. Sie sollen die Initiative ergreifen. Ja, ich kenne jetzt kein RSP, daß von seinen SC erwartet, passiv zu vegetieren. Sie sind kompetent. Ich war jetzt noch nicht an der Charaktererschaffung, insofern kann ich diesen Anspruch nicht bewerten. Sie haben dramatisches Potential. Ja, abgesehen davon, daß unklar ist, was "dramatisches Potential sein soll, was wohl daran liegt, daß die Bandredaktion sich nie über eine Definition von "dramatisch" Gedanken gemacht haben dürfte, findet sich diese Perle hier im Text:
Wenn es in eurem Spiel um ein paar Abenteurer geht, die sich hirnlos durch immer stärkere und härtere Monsterhorden prügeln, dann ist das kein Fate. Wenn die Abenteurer versuchen, ein normales Leben zu führen, während sie vom Schicksal auserwählt sind, gegen das ultimative Böse anzutreten – das ist Fate.
Bin nur ich das oder hinterläßt daß den Eindruck, die Fate-Macher hielten alle, die noch nicht von ihnen erleuchtet wurden, für monsterschnetzelnde RSP-Neolithiker? Zum zwoten: Das hier vorgestellte Ideal (Normalo ausersehen zum Welt retten) ist Cookie-Cutter bis in den roten Bereich. Und schließlich: Eure eigene Beispielgruppe genügt dem implizit formulierten Anspruch überhaupt nicht.
(...) eine rasante, nicht ganz ernsthafte Fantasy-Geschichte über eine Gruppe von Leuten, die Probleme lösen, wenn sie dafür bezahlt werden. Sie bummeln durch die Lande, lassen sich von zahlreichen unbedeutenden Königen und Lehnsherren anwerben und geraten so in Schwierigkeiten.
Mit anderen Worten: Eine Gruppe durch die Lande schnetzelnder Mörder-Hobos mit Kaperbrief soll euer Spiel erklären.

Aha.

Aber insgesamt macht das Ganze bisher keinen schlechten Eindruck. Ich leere mein Hirn mal von allen Vorbehalten, die aus meinen vorherigen Begegnungen resultieren und ziehe Zwischenbilanz. Ein robuster, etwas umständlich zu würfelnder Kernmechanismus mit abgestuften Ergebnissen und ein Gummipunktsystem, das durchaus funktionieren kann. Unter Stunts kann ich mir noch gar nichts vorstellen. Aspekte scheinen Deskriptoren zu sein, die den SC mit Setting und Gruppe verzahnen und ihn definieren, dabei zugleich Stärken und Schwächen repräsentieren. Gerade letzteres ist eine steile Ansage, die umgesetzt werden will.

Das Buch selbst ist lesbar, Besserspielen blitzt nur gelegentlich durch (s.o.), aber alles soll halt "dramatisch" sein. Gut, damit kann ich leben.

Bauen wir also einen Charakter.

Du und Dein Charakter, Dein Charakter und Die anderen, dazu "Hello World"

Oooookay. Der Charakter ist mit der Geschichte verzahnt und mit der Spielwelt, steht da. Vor allem aber baut man die Charaktere in der TherapieSpielgruppe.
Zusammen mit der Spielgestaltung kann die Charaktererschaffung leicht eine ganze Spielsitzung dauern – das ermöglicht es allen, die Welt und die anderen Charaktere kennenzulernen. Du und deine Mitspieler werden über eure Charaktere reden, euch gegenseitig Vorschläge machen, diskutieren, wie die Charaktere miteinander verknüpft sind, und die Spielwelt dabei ausgestalten.
Yippeee. Brüh den Mate-Tee auf, zünd die Räucherstäbchen an und wirf die Bastmatten auf den Boden. Gruppenerschaffung. Laßt uns an die Füße fassen und eine ganze Sitzung damit zubringen, Charaktere zu bauen.

Nun, für den Zweck dieser Kolumne nicht machbar. Ich lad aber mal das Charaktererschaffunsgblatt runter. Das ist ein Konzept, das ich von anderen Spielen her nicht kenne.

Da Fate ein Universalsystem ist, dessen Charaktere für spezielle Settings gebaut werden, muß ein solches her. Ich nehme dazu das Setting von American Nitemare, einem Verschwörungsthriller im Jahre 2011, ein Crossover aus Fargo, X-Files und The Newsroom. Als Ersatz für die Gruppe greife ich ggf. auf Charaktere meiner Gruppe, die ich leite, zurück.

Konzept und Dilemma

Das Konzept ist der erste und wichtigste jener Deskriptoren, die bei Fate Aspekte genannt werden. Er soll Beruf und Berufung umfassen, ersatzweise Lebensaufgabe oder Standortbestimmung sein, am besten alles zusammen.

So richtig erklärt wird das nicht. Die Vorschläge reichen von einfallslos ("Straßenschläger") über nebensächlich ("Leitender Ermittler") hin zu überspezifisch ("Statthalter der Narbentriade in Riverton"). Die Mörder-Hobo-Beispielgruppe kommt auch zu eher faden Ergebnissen.

Also mal sehen. Ich hätte den SC gerne taff und hackermäßig. Schauplatz ist New York. Nehmen wir doch ganz einfach "Hacker in the Hood", und Du siehst den Bling, die Sneakers, aber auch meinen Mainframe. Da ist zusätzlich noch ein Rattenschwanz an Milieu-Details hintendran, die sich zum Guten wie zum Bösen auswirken können, was, wenn ich es richtig verstanden habe, Zweck eines Aspektes ist. Weil dramatisch und narrativ und so Sachen.

Das Dilemma ist der Klotz am Bein eines Charakters, der aus seinem Wesen oder aus seiner Vergangenheit entsteht. Erneut sind die gebotenen Ausprägungen erschreckend fad und haben mit Dilemmata auch nicht das geringste zu tun.

Ganz ehrlich: Nach dem ganzen Gefasel über Tempo und "Dramatik" kommt die praktische Anwendung jetzt mit einer Anämie daher, die verblüfft. Die Vorschläge veranlassen allenfalls zum Gähnen, und die Beispielgruppe kann Füße einschläfern. Ein Vorschlag ist tatsächlich "Jähzornig", Wahnsinn. Das sind Sachen, die geb ich einem Charakter als simples Beiwerk mit. Natürlich ist Murphy jähzornig, aber das ist kein Dilemma, das ihn bestimmt - das ist halt so. Mum war schon immer schwer gestreßt und es hat auch dazu geführt, daß er von der High School flog. Aber als einen von zwei definierenden Traits? Ich nenn's mal "uninspiriert".

Soweit zur Dramatik.

Zurück zum Dilemma meines Hackerboys. "Nur noch das eine" beschließe ich. Wann immer er illegale Dinge mit Rechnern tut, hat er die Tendenz ein zu großes Risiko einzugehen, und nur noch "die eine Datei" zu stehlen oder "die eine Kamera" auch noch auszuschalten etc. Ein SL sollte damit was anfangen können, und es ist auch tatsächlich ein Dilemma.

Yo-yo, man, I'm Murphy "Stardust" Brown.
I'm the hacker in the hood in my lil' hometown.

Ich linse zu vorgerückter Stunde mal auf die nächsten Seiten und sehe mit Schrecken, daß ich jetzt kleine Geschichtchen erfinden soll, die meinen SC mit den anderen SC verbinden und aus denen sich weitere Aspekte ergeben.

Ja. Das wird länger, ich mach dann mal morgen weiter oder so. Stay tuned.

2 Kommentare:

alexandro hat gesagt…

"Bei grundlegenden, den Charakter definierenden Eigenschaften habe ich damit schon eher ein Problem. Das erfordert ziemliche Verrenkungen, um das innerhalb einer glaubhaften Geschichte - und um die "Geschichte" geht es FATE nach eigenem Bekunden - noch bruchlos einzufügen."

Da es *nicht* die grundlegende Fähigkeit des Charakters die Handlung zu *unternehmen* beeinflusst (die Diebische Elster könnte auch ohne FP würfeln, um die Waren des Händlers einzuschätzen), sondern lediglich den Zufallsfaktor reduziert, habe ich damit überhaupt kein Problem.

Habe schon überlegt, wie ich das (Gummipunkte als "spezifische Erfahrungen", statt generisch-langweiliges "Glück") in anderen Systemen umsetzen kann...

Anonym hat gesagt…

Zweiter Teil, Mann mit dem Schatten?

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